In den Bergen

Moselsteig – Prolog

Schon vor Wochen, als wir begannen uns mit dem Moselsteig auseinanderzusetzen, war für uns klar, dass wir nicht mit dem Auto anreisen würden, sondern klimaneutral die Bahn nutzen würden – maximaler Komfort für alle Reisenden, nicht nur für den Beifahrer, der nicht selbst fahren muss. Wir buchten für den 10. September einen nicht allzu frühen Zug der Deutschen Bahn von Berlin an unseren Startpunkt Ellenz-Poltersdorf, der auch in der Voransicht nur mit zweimal Umsteigen zu erreichen war. So weit, so gut. Was wir nicht wussten zu diesem Zeitpunkt: An diesem Wochenende endeten die Sommerferien in Nordrhein-Westfalen. Dementsprechend waren die Züge in diese Richtung voll.

Mindestens ebensovoll waren jene Menschen, die sich bei Köln-Mühlheim auf den Gleisanlagen tummelten und immer dann verschwanden, wenn die Bundespolizei aufmarschierte, um die Gleisanlagen wieder zu räumen, um wenig später erneut dort aufzutauchen. Die Folge: Der Zugverkehr wurde auf weiteres eingestellt – wir saßen auf unbestimmte Zeit fest. Immerhin löste sich unsere Anspannung, ob wir denn unseren Anschlusszug erreichen werden. Letztendlich hätten wir nur 7 Minuten zum Umsteigen gehabt – mit diesem Rückstand von mehr als 50 Minuten war jedwede Überlegung hinfällig. Und immerhin hatten wir jede Menge Zeit uns zu überlegen, welchen Zug wir ansonsten von Koblenz nehmen konnten.

Wie in vielen großen Flusstälern fährt von Flussort zu Flussort die Regionalbahn, manches Mal auch die S-Bahn. Von daher war es in der Planung ein Leichtes, einen Zug zu finden, der von Koblenz aus nach Ellenz-Poltersdorf fuhr – oder auch eben nicht. Denn ausgerechnet an Ellenz-Poltersdorf fuhr der Zug vorbei – durch einen Tunnel unter den Hochebenen hindurch. Also waren wir noch auf einen Bus angewiesen, was sich aufgrund unserer immensen Verspätung nun als schwierig herausstellen sollte: Der letzte Bus in Cochem würde um 19:15 Uhr fahren, der von Ediger-Eller (dem ersten Zughalt nach dem Tunnel) etwas früher, aber schwieriger abzuschätzen wegen der Verspätung unsererseits. Wir entschieden uns für den größeren touristischen Hotspot: Cochem. Unsere Hoffnung bestand darin, hier gegebenenfalls noch eine Unterkunft zubekommen, falls der letzte Bus schon abgefahren sein sollte – oder ausfallen. Wir waren bereits auf alles vorbereitet.

Ich habe Cochem als ein wunderschönes Städtchen an der Mosel in Erinnerung: Viel Geschichte, viel Burg, viel Kirche, viel mittelalterliche, enge Stadtarchitektur in Fachwerk. Das letzte Mal in Cochem war ich als Kind, an der Seite meiner Mutter, Bine kannte die Mosel noch gar nicht. Basierend auf meiner Erinnerung freute ich mich also, Bine die Mosel näherzubringen. Natürlich war ich dann etwas entsetzt, als wir in Cochem den Bahnhof verließen und auf einem vollkommen schmucklosen, heruntergekommenen Platz vor dem Bahnhof standen. Nicht, dass man gewöhnt ist, dass Bahnhofsplätze wunderschöne Orte in Deutschland sind, aber erschreckenderweise lag über allem an diesem Ort der Mief des Stillstandes. 50er Jahre Schick, der mit dem jeweiligen Schick der folgenden Jahrzehnte übertüncht wurde und spätestens mit Maueröffnung genau so bewahrt blieb – zumindest hier rund um den bröckelnden Bahnhof, der im Gebäude selbst aus Sicherheitsgründen schon mit Netzen abgehängt werden musste.

Viel mehr, als es uns in einer knappen Stunde Wartezeit auf den letzten Bus nach Ellenz-Poltersdorf, möglich war, wollten wir uns mit Cochem noch gar nicht auseinandersetzen. Denn schließlich war es bereits das morgige Etappenziel und da wollten wir Cochem „from the scratch“ neu erleben.

Erschwerend kam hinzu, dass wir amtlich die Schnauze gestrichen voll hatten. Erst die vielen Verzögerungen auf der Strecke, dann die entsprechend wegfallenden Züge, die nicht so großzügig verkehrenden Busse und auch die Tatsache, dass rund um den Bahnhof in Cochem um 18 Uhr alle touristischen Läden für die Versorgung schlossen. Keine Toiletten, kein Imbiss, keine Getränke – nur die muffigen Versorgungsautomaten in der Bahnhofsvorhalle, die aber – oh Wunder – ausgeschaltet waren. Die eine Stunde Wartezeit auf den Bus würde sich also ziehen.

Der BUS 711 des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg Richtung Bulley kam entgegen unserer apokalyptischen Stimmung jedoch pünktlich und brachte uns ohne größere Verzögerung nach Ellenz-Poltersdorf, Haltestelle Moselweinstraße – direkt vor dem Ellenzer Goldbäumchen – quasi einer Restaurations-Ikone in der Gegend, direkt an der Mosel gelegen. Die einzige kurze Verzögerung war der Halt auf offener Strecke, weil Bine und ich eine Station zu früh auf den Halte-Knopf gedrückt hatten. Scheiß Touristen.

Im Goldbäumchen

Unsere erste Unterkunft vor unserer ersten Etappe ist das Ellenzer Goldbäumchen – eine Quasi-Instituion. Zum einen durch das angeschlossene Weingut, dessen Rieslinge weit über die Landesgrenzen hinaus genossen werden können, zum anderen durch die exponierte Lage direkt an der Mosel und das wunderschöne, altertümliche Haupthaus. Das war es dann aber auch schon.

Gerne könnten wir von dem heruntergeranzten Zimmer erzählen, dass wir bekommen hatten, zwar mit Moselblick, aber so muffig und verlebt, dass wir uns unbehaglich fühlten, gerne von den fragwürdigen Nachbarzimmertüren, die zum Teil zerkratzt und verschmutzt waren und hinter denen scheinbar zum Teil auch das lautstarke Personal mit mehrerern Parteien wohnten, aber unsere Nicht-Empfehlung gipfelt darin, dass das Ellenzer Goldbäumchen seit Oktober 2023 dauerhaft geschlossen hat. Wir hatten also die zweifelhafte Ehre, quasi in den letzten Wochen des Bestehens, noch einmal hier zu wohnen.

Immerhin: Wir bekommen in der Außenrestauration einen Sitzplatz, können unsere Henkersmahlzeit vor Beginn unserer Tour essen und gehen dann angewidert ins Bett. Moselstieg, wir kommen.

Aus den Notizen

Wir haben unsere Eindrücke recht kurzzeitig mit der Diktierfunktion der Smartphones aufgenommen. Die Texte wollen wir Euch nicht vorenthalten – sie sind roh und in der jeweiligen Situation entstanden. Manches Mal durchaus nachvollziehbar, oft aber auch einfach sprachliches, ungefiltertes Kauderwelsch.

9,5 Stunden Anreise, Personen in Mühlheim auf der Strecke, Ankunft Cochem, über allem: Der Mief des Stillstands, 50 Jahre gleichgebliebene Verzückung des Mosel-Alkoholikers - steile These: nur durch Moselweine alles schön getrunken

Pension Goldbäumchen: Strammes Geld für verlebtes Wanderzimmer: neues Bett, Stock in allen Ecken, herausgebrochene Waschtischchen, nicht gepflegte Armaturen, dreckige, verstockt-kalte Fugen an Boden und Dusche.

Selbst mit Ende Vierzig anfang 50 drückt man den Altersdurchschnitt rapide.

Moselbeine halb offen in Sandalen. Darüber pumpt die Altersdiabetespumpe - ein Riesling geht doch noch.

Loriots Welt des Spiessbürgertums - im Moseltal hat es sich erhalten. Der Niederländer inklusive. Mit Spielsteinen.
das Personal ausnehmend freundlich, das Abendpersonal ungarisch wie in vielen Servicebereichen der Tourismusbranche.

Galerie

Weiterführende Links

RSS
Instagram
Mastodon

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert