Lost Place: Flugfeld
Das reinste Aprilwetter, aber im März: Regen, Schnee- und Hagelfall, Sonne – kunterbuntes Wetter. Für lange Treks ist das nichts. Doch warum in die Ferne schweifen? In der Nähe gibt es oft genügend interessante Objekte zu erkunden.
Was uns im Herbst schon in die Pilze führte, sollte allemal reichen, um uns ein wenig die Beine an einem Aprilwetter-Sonntag im März vertreten zu lassen. Sagten wir und zogen los – Bine im Outdoor-Dress, ich eher im urbanen Parker und festem Schuhwerk.
Wir verließen das mecklenburgische Kreisstädtchen Ludwigslust südlich durch verschlungene Pfaden zwischen Efeu und umgestürzten Bäumen und eigentlich hatten wir kein wirkliches Ziel, bis das Ziel uns fand: Lost Schienen. Hidden Eisenbahn. Dark Tuut-tuut.
Alte Bahndämme gab es genügend in der Umgebung, die sich oftmals schienenlos durch die Landschaften zogen und nur noch durch ihre Gleichmässigkeit und einem Bahndamm von der Umgebung abhoben – mal höhergelegt als Damm, mal tiefer als Mulde in der Landschaft. Aber ein Schienenstrang fernab im Wald, der aus Erdschichten auftauchte und im Dickicht des Waldes wieder verschwand, er weckte unsere Neugier und zumindest wollten wir wissen, wo er uns hinführen würde.
Fuhr hier der Hogwarts-Express? Würden wir, wenn wir ihnen nur lange genug folgten, auf Gleis 9 3/4 stoßen?
Die Satellitenkarten zeigten von oben nichts und nur leichte Spuren durch das Dachgewölbe des Waldes ließen den Verlauf dieses Schienenstrangs erahnen. Wer mehr wissen wollte, musste den Schienen folgen. Was wir wussten: In die Richtung des Schienenstrangs waren sowohl nördlich als auch südlich zwei Industriegebiete – es war mehr als wahrscheinlich, dass diese Schienen die Industriegebiete einst an das ehemalige Hauptgleis der Strecke Ludwigslust-Dömitz angeschlossen hatten.
Wir folgten den Schienen, bis sie an einer parallel laufenden Straße (Mühlenstraße, Techentin) versandeten und mit kräftigen Bäumen überwucherten. Es blieb uns nichts weiter übrig als dem Straßenverlauf zu folgen und anzunehmen, die Schienen seien weiter parallel gelaufen. Erst viel später sollten wir sie jedoch tatsächlich parallel zur Straße wiederfinden. Weil aber nur wenige hundert Meter weiter neben einer unterirrdischen Gastrasse und einem Radwanderweg auch noch eine Wendeschleife für den Busverkehr am Industriegebiet gebaut wurde, fanden wir keinen weiteren Anschlusspunkt der Gleise wieder – weder im Waldstück über die nun durchschneidende Straße noch über Satellitenbilder, die andere Muster in der grünen Flache erkennen ließen. Enttäuschend.
Hogwarts sollte ein unentdecktes Mysterium bleiben.
Weniger enttäuschend war, dass die Straße „Am Alten Flugplatz“ sicher nicht „Am Alten Flugplatz“ hieß, weil dort die Vögel des Waldes ihre Schwingen ausbreiten und das Fliegen lernten. Zwar erkannte man von oben rein gar nichts aus einer großen heideartigen Landschaft, keine langgezogene Landebahn, keine flughafenähnlichen Gebäude, kein Radar, kein Tower, aber ganz versteckt im südöstlichen Teil des Areals ragten zwei riesige Dächer aus dem grünen Dach des Waldes.
Hangars!
Keine weiteren Informationen auf den Satellitenbildern, nichts. Wir folgten der Straße „Am Alten Flugplatz“ am Industriegebiet „Stüdekoppel“ und hinter einem Recyclinghof drangen wir in das Waldstück ein, dass die großen Dächer in sich verbarg.
Wir mussten nicht lange gehen, als die ersten Übrigbleibsel militärischer Nutzung zu sehen waren. Neben zahlreichen Betonpfosten, die früher Streckmetallzäuhne hielten, öffnete sich ein weiter Zugang mit befestigtem Boden unter einer dicken Grasschicht, daneben ein verfallenes Häuschen, das als Dienstposten an diesem Zugang genutzt wurde. Im inneren des stark verfallenden Postens, der in Teilen schon gebrannt haben musste, waren drei Zimmer. Das erste mit Tür und großem Fenster direkt am vermeintlichen Tor (nur die Pfosten und deren Scharnier-Verankerungen des nahen Zaunpfostens ließen diesen Schluss naheliegen) mit einer Ruhestube dahinter, in der ein Bett stand; räumlich von dieser Einheit getrennt eine Amtsstube mit altem verrotteten Schreibtisch und Heizbrenner auf der anderen Seite des Postens.
„Alter Flugplatz“ hiess also schon mal nicht, dass hier ein Sportflugplatz war, wo einmotorige Maschinchen ihre Runden drehten und auf einem winzigen Rasenstück mit einer Holzhütte als Flugleitung landeten. Militärische Nutzung hiess auf dem ehemaligen Gebiet der DDR gleich NVA oder Rote Armee. MiG-27 statt Cesna Skyhawk. Spionage-Thriller statt „Über den Wolken“, James Bond statt Schwarzwaldklinik. Aber genug der Vergleiche.
Mit Bine Bond an meiner Seite und ich als schniekes Bondgirl tauchten wir tiefer in das Wäldchen ein, das schnell nach dem Postenhäuschen dichter wurde – worüber wir angesichts des einsetzende Schnee- und Hagelgestöbers nicht undankbar waren. Vorbei an zerfallenden Unterständen, mit Stahlplatten abgedeckten Bodenzugängen, an übermoosten Grundmauerresten von ehemaligen Gebäuden, Laternen und Strommasten tasteten wir uns vor. Überall konnten Löcher oder Fundamente im Boden sein, in die man hineinstürzen konnte. Einziger Orientierungspunkt die großen, rostigen Schiebetüren des Hangars aus Stahl, die durch den Wald rot schimmerten. Im Frühling mit einsetzender Vegetation hätten wir die Hangare im Dickicht nicht so schnell gefunden.
Hinter der letzten Baumreihe ragten sie dann imposant empor. Riesige Hallen mit ihren gigantischen Schiebetüren, die früher einmal aufgeschoben wurden, um stählerne Adler von der Rollbahn fliegen zu lassen. Leider in einem dramatischen Zustand. Hielt das Stahlträgergerüst wacker den Bedingungen des offenen Verfalls stand, faulte das Holz der Deckenkonstruktion und ließ das Dach an zwei Stellen einbrechen. Das Gewicht der Halle lastete auf zwei der großen Stahltüren, die sich leicht nach außen wölbten, also alles andere als sicher. Vielleicht auch einem Feuer geschuldet, dass gewütet haben musste: Die Teerpappe war auf Teilen des Daches geschmolzen und hing in großen Tropfen und zusammengeschmolzenen Schichten vom Dach herunter. Schlimmer noch: Auf der einen Seite war die Seitenhalle weggesprengt und überall im Wald verteilten sich herausgesprengten Dachpappeteile in einem weiten Radius.
Trotz des dramatischen Verfalls: Allgemein waren wenig Spuren der Verwüstung oder des Vandalismus zu finden – natürlich waren die Wände teilweise angesprüht – natürlich waren Scheiben eingeschmissen worden – natürlich waren zum Teil Türen auf- und aus den Angeln gebrochen worden. Aber insgesamt wirkte es nicht so zerstört und abgenutzt wie viele andere Lost-Places.
Auf dem weiten, größtenteils bewaldeten Areal befanden sich hinter den Hangars noch ein Turm, der durch das Walddach in den grauen Himmel ragte und der darauf schließen ließ, dass es noch mehr Gebäude geben sollte. Jetzt aber bestimmt: Barad-dur in Mordor? Oder doch wenigstens der Turm, aus dem Rapunzel ihr Haar hinunterlässt?
Da weder Haare aus dem Fenster gelassen wurden, noch ein flammendes Auge sich anschickte, uns argwöhnisch zu beobachten, entpuppte sich das Haus mit dem Turm in einem eingezäunten Areal als Haus mit einem großen rechteckigen Schornstein: Ein Kesselhaus zum Heizen der Anlage. Dem vorgelagert ein eingeschossiges Haus mit Treppenaufgang und noch etwas weiter davor, schon direkt am Grundstück des Recyclingwerks gelegen, ein rechtwinkliges, zweigeschossiges Gebäude. Alles verlassene Ruinen.
Vorsicht: Das Kesselhaus hat es in sich. Der ganze Boden rund um das Haus herum ist löchrig, da das sichtbare Haus auf einer Betonplatte steht, die größer ist als das Haus selbst, diese jedoch ist über das ganze Gelände brüchig und zum Teil eingefallen. Das ist leider durch die Grassoden und den wilden Efeubewuchs nicht immer gut sichtbar. Auf der Rückseite wird die Größe der Unterkellerung erst recht deutlich. Quaderweise wurde hier die Decke geöffnet und man kann in den imposanten Keller des Kesselhauses schauen, geschätzt 8-10m sind die Gewölbe tief. Hier sind die künstlichen Öffnungen jedoch mit festen Stahlgittern verschlossen – dort herumzulaufen würden wir jedoch niemandem empfehlen.
Quellen aus dem Internet wissen von einer unterschiedlicher Nutzung des Areals zu berichten: Bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dieser Fliegerhorst durch die Luftwaffe errichtet und diente für rund anderthalb Jahre als Flugschule. Die ehemaligen Hauptgebäude wie die Flugleitstelle und ein weitaus größerer, dritter Hangar befanden sich im nördlichen Teil des Areals an der heutigen Mühlenstraße (Techentin), sind heute jedoch abgerissen und nicht mehr ersichtlich. Zwischen den Gebäuden im nördlichen Teil und denen des südöstlichen Teils, die wir besichtigt hatten, war das eigentliche Flugfeld – ein Rasenrollfeld, wie üblich in der Zeit. Viele Fliegerhorste der Luftwaffe aus der Zeit sahen ähnlich aus, die Hangarhallen sowohl die Flugleitstellen waren vom Reißbrett.
Auch die Soviets nutzten die Anlage nach dem Krieg bis zum Ende der Sovietunion und dem Abzug der russischen Soldaten nach der Wiedervereinigung – neben den Hangars wurden die Areale rund um die heutige Stüdekoppel als Truppenübungsplätze der nahen Kasernen in Ludwigslust und Umgebung genutzt – vielen Zäune und typischen Betonmauern im Wald zeugen noch von der Zeit. Die heutige Grabower Heide südöstlich von Ludwigslust beispielsweise ist heute ein sehenswerter Landschaftspark mit typischem Heidebewuchs – die langgestreckte Anlage von rund vier Kilometern Länge war jedoch ein Rasenrollfeld für sovietische Militärflugzeuge. Auch heute ist noch das charakteristische Bild auf Satellitenbildern zu sehen. Diese Fluganlage endete, wie sollte es anders sein, auf der anderen Seite der B5 am ehemaligen Fliegerhorst mit den beiden Hangars im südöstlichen Bereich der Stüdekoppel.
Fazit
Aus einem launigen Sonntagsspaziergang durch den Wald wurde eine spannende Schnitzeljagd auf Schienen in die Vergangenheit eines Areals, dass mehrere unterschiedlichste Systeme für ihre Zwecke nutzten. Das Areal des alten Fliegerhorstes auf dem Industriegelände „Stüdekoppel“ südlich von Techentin, einem Ortsteil von Ludwigslust in Mecklenburg, ist, oh Wunder, frei zugänglich. Kein Zaun schützt vor unbefugtem Eintritt. Einzig das Gelände auf dem die Flugschule und das Kesselhaus stehen ist umzäunt – wahrscheinlich der Sicherheitslage geschuldet – die Häuser sind extrem baufällig und der Untergrund ist wie beschrieben löchrig und ein Absturz in Gewölbe im Bereich des Kesselhauses durchaus im Bereich des Möglichen. Sowohl es vor Ort zu sehen als auch im Anschluss über dieses Areal im Netz zu recherchieren hat jede Menge Spass gebracht, tolle Fotos obendrein. Ein Besuch ist durchaus zu empfehlen.
Anfahrt
Mit dem PKW: Zwischen Berlin und Hamburg gelegen A24 bis zum Schweriner Kreuz, dort auf die A14 Richtung Ludwigslust/Grabow und an der Abfahrt Grabow hinunter auf die B191 Richtung Karstädt – auf der rechten Seite kurz hinter der Abfahrt bereits das Industriegebiet Stüdekoppel mit dem Recylcingwerk.
Mit der Bahn: Aus Hamburg oder Berlin kommend (EC,IC, ICE, Regionalbahn) bis Ludwigslust – danach der Karte folgen (GPS Download)
Sehr interessant, alles wusste ich auch nicht. Dieses Objekt war auch interessant für die Spionageabteilung der amerikanischen Streitkräfte. Linksseitig der B191 Richtung Dömitz ging das besetzte Gelände weiter. Hier gibt es direkt an der B191 eine Gedenktafel für einen amerikanischen Major, der auf Grund von Spionage sein Leben lassen musste.