In den Bergen

Malerweg – Etappe 1

Monatelange Planung, Kartengeschiebe, Tourengezeichne, GPS-Übertragungen, Übernachtungssuche, Rucksack optimieren – alles kulminiert in diesem Punkt: Der Beginn einer wundervollen Wanderung auf dem Malerweg durch das sächsische Elbsandsteingebirge. Etappe 1 von Liebethaler Grund (Pirna) nach Stadt Wehlen an der Elbe.

Prolog

Der Tag beginnt morgens um fünf Uhr. Eigentlich beginnt der Tag schon einen Tag vorher: Das finale Packen der Rucksäcke auf unserer 7-Tage-Tour durch das Elbsandsteingebirge. Alles, was wir mitnehmen, tragen wir stets bei uns. Wechselsocken, Wechselschlüppis, Regenkleidung, ein wärmender Pullover oder Weste. Viel Luxus ist nicht in einem 50ltr Rucksack. Ausrüstung muss ja auch noch mit. Und Essen. Und Utensilien fürs Essen. Und Akkus. Ohne Akkus geht ja heute gar nichts mehr. Aber jetzt früh um fünf wird noch einmal final alles aus dem Rucksack gezerrt und wieder hineingesteckt – ist auch wirklich alles drin? Gefühlt könnte man alles dreimal packen, nur wegen eines Gefühls der vermeintlichen Sicherheit, nichts vergessen zu haben.

Sich in der Hektik des Aufbruchs und angesichts der Uhrzeit ein Frühstück hineinzuwürgen gestaltet sich schwierig, dennoch: „Ohne Mampf kein Kampf“. Zeit beim Kaffee noch einmal am Smartphone alle digitalen Mitnahmen durchzusehen: GPS Tourenpläne im Offlinemodus, Buchungsbestätigungen der Übernachtungen als PDF-Dateien, Bus- und Bahnverbindungen, Zugtickets, Bahnkarten – alles, was digital noch einmal überprüft werden muss, muss überprüft werden. Denn spätestens mit dem Ziehen des Steckers des Routers kurz vor Verlassen des Hauses fällt man für einen kurzen Moment gefühlt in das düstere Mittelalter zurück, in eine Zeit weit vor dem „Neuland Internet“ – dieser ewige Moment, bis das Smartphone auf LTE zugreift.

Doch nichts kann uns jetzt mehr halten, die Wanderstöcke klappern aufgeregt, der Titan-Henkelbecher läutet am Rucksack wie eine Glocke am Hals einer Kuh den Abmarsch ein, es geht los: Vom Hauptbahnhof in Berlin mit dem Eurocity Richtung Prag nach Dresden, von dort mit der S-Bahn nach Pirna und mit dem Bus noch etwas weiter bis zum Liebethaler Grund, wo der Malerweg durch das Elbsandsteingebirge seinen Startpunkt hat.

Die Rucksäcke in das Gepäckfach oberhalb der Sitze zu wuchten lohnt sich zeitlich fast gar nicht, denn bis alle Fahrgäste sich gesetzt haben, erreicht man nach rund 2 Stunden schon wieder Dresden-Neustadt und die weiteren sieben Minuten bis zum Dresdener Hauptbahnhof benötigt man alleine schon, um die schweren Rucksäcke wieder aus der Gepäckablage herauszuzerren – ohne die Sitznachbarn mit den Wanderstöcken zu erdolchen oder den herausfallenden Wasserflaschen zu erschlagen.

Von Dresden aus geht es im halbstündigen Takt von einem Nebengleis mit der regulären S-Bahn weiter (hier: S1 zwischen Meißen und Schönau). Da wir noch etwas Zeit haben, empfängt uns dankenswerter Weise der Haferkater im Bahnhof zu einem leckeren Oatmeal und einem Falafel-Wrap, quasi die letzte Nahrungsaufnahme in der Zivilisation.

Die Fahrt in der S-Bahn dauert rund 30 Minuten, die einem länger vorkommen können, wenn zahlreiche Klassenfahrten um einen herumsitzen, darunter eine Gruppe halbstarker vorpubertierender Jungs, die zwei Dinge im Kopf haben: Computerspiele und Fußball. Und während die einen angeregt über Killarten in Fortnite diskutieren, hämmern die anderen rhyhtmisch auf ihren Koffern herum und singen „DYNAMO! DYNAMO!“ – Kurz ist man geneigt, das eben erlernte Wissen über Killmethoden aus Fortnite anzuwenden. 30 Minuten können so endlos sein.

Vom Bahnhof in Pirna ist es mit dem Bus der Linie G/L der VVO nur noch ein Katzensprung zum eigentlichen Startort des Malerwegs am Liebethaler Grund. Mit uns im Bus ein skandinavisches Gespann von Mutter und Sohn, die denselben Zielort haben und auch mit reichlich Gepäck in den Rucksäcken am Zielort aussteigen. Nach dem Aussteigen aus dem Bus stehen wir zusammen im leichten Regen an der Haltestelle, orientieren uns gemeinsam, wünschen uns allen eine schöne Zeit und wandern los. Wir werden sie wiedersehen. Jeden Tag. An uns vorbeiziehend. Oder bereits vor uns verschwindend.

Die erste Etappe

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Es regnet ganz leicht, als wir die ersten Schritte auf dem Malerweg gehen. Oder ist es noch gar nicht der Beginn des Malerwegs? Etwas schmucklos kommt uns die Hütte an der Haltestelle ja schon vor, etwas prunkvoller hätte es schon sein können. Im Harz wartet eine Hexe auf einen, wenn man die erste Etappe in Angriff nimmt. Ich meine, denkt denn auch wer an uns Reiseblogger? An die Instagramer? An die Generation, die nur weiß, dass sie lebt, weil es Likes und Favs dafür gibt, es irgendwo gepostet zu haben? Wer denkt an die Digital Natives?

Natürlich gibt es eine Infotafel an der Stelle, an der der Malerweg beginnt. Natürlich wird darauf erklärt, warum der Malerweg so heißt wie er heißt, natürlich wird auf die zahlreichen KünstlerInnen hingewiesen, die ihn bestimmt mit Stiften, Farben, Papieren und Staffeleien hochgekrochen sind (NIEMALS!), um sich von der Schönheit der Natur inspirieren zu lassen (HA!).

Übrigens: Es ist kein langsames Wandern, bis einem irgendwann die urige Schönheit des Malerwegs auffällt. Du kommst an das Startschild des Weges und direkt dahinter wirst du in Schluchten geworfen aus denen es kein Entkommen zu geben scheint, rechts von dir plätschert es sanft, mal rauschen Wasserfälle mächtig neben dir, Felswände stellen sich dir haushoch in den Weg, dunkle Höhlen und Spalten ziehen dich lockend in ihren Bann: Keine 800m vom Eingangsschild entfernt. Als hätte man einen Erlebnispark betreten.

Allerdings ist die erste Etappe mit ihren rund 13km Länge noch überschaubar und es wandert sich von Beginn an recht beschaulich im Wesenitztal neben der namensgebenden Wesenitz. Eine moderate Steigung macht es möglich. Die Wege sind naturbelassen, teils ausgetreten oder ausgewaschen und dadurch felsig. Durch den den moderaten Regen natürlich alles in allem etwas matschig. Vorbei an alten Mühlengebäuden und Wasserwerkereien, die einen noch in Betrieb, andere eher etwas für Lost-Place-Sucher und Urban Explorer, geht es durch den Liebethaler Grund kurz hinter Daubemühle nach Lohmen hinein, den ersten größeren Ort im Tal mit seinen rund 3100 Einwohnern.

Wir navigieren durch enge Schluchten, finden den richtigen Weg, wenn er sich gabelt und das GPS Signal nicht empfangen werden kann, weil es in die Tiefen der Gründe nicht findet. Aber kaum in einem Ort angekommen verlaufen wir uns links, mal rechts, mit Fragezeichen über dem Kopf an der Kirche stehend, bis, vielleicht dem Zufall geschuldet, der rechte Weg uns wieder hat.

Kurz vor dem Ortsausgang verlässt der Weg die Wesenitz und ihr Tal und windet sich in einem sanften Aufstieg zwischen Wäldern und Feldern oberhalb des Zeisiighübels (262m) dem Schleifgrund entgegen. Rund 5km lang ist dieses Transferstück, bevor der Weg wieder in den besagten Schleifgrund hinabführt und später in den Uttenwalder Grund mündet – zwei tiefe Felstäler mit wild romantischen Felseformationen zwischen Lohmen und dem heutigen Etappenziel: Stadt Wehlen an der Elbe, das Tor zu einer der meistgesehenen Felsformationen und dem Sinnbild der Sächsischen Schweiz: Der Bastei.

Mit dem Eintritt in den Schleifgrund und seinen sehr engen Felstälern betreten wir den Nationalpark Sächsische Schweiz. Hier gelten jetzt andere Regeln, was die eigene Gefährdung angeht. So zumindest die große Erklärtafel am Eingang des Parks. Eindrücklich bleibt uns der Satz in Erinnerung: „Natur heißt auch Gefahr!“ Was zu Beginn etwas albern wirkt, fruchtet irgendwann. Fällt dir hier ein größerer Stein auf den Kopf, fällt dir eine vom Borkenkäfer zerschundene Fichte auf den Fuss – es dauert, bis hier Hilfe kommt. Also bleib auf deinem Weg.

Immerhin: Wir überleben. Sogar die Kernzone.

Rund um den Kilometer 10 des ersten Abschnitts taucht zwischen den hohen dunklen Felswänden ein winziger Durchgang durch die meterhohen Felsen zu beiden Seiten des Weges im Schleifgrund auf, durch den wir uns mit unserem schweren Gepäck gebückt durchzwängen müssen – das ist das Uttenwalder Felsentor, das den Weg in den Uttenwalder Grund überführt und viele KünstlerInnen inspiriert hat, darunter Maler wie Caper David Friedrich („Felsentor im Uttenwalder Grund„).

Die Felswände scheinen kein Ende zu nehmen, links und rechts des Weges geht es durch den Uttenwalder Grund (Grund = eng geschnittenes Tal), später dann durch den Wehlener Grund in Richtung Stadt Wehlen, immer entlang am Grundbach, einer teils gemauerten Ablaufrinne, die zur Elbe führt und in Wehlen mündet, jedoch selten Wasser führt.

Dem Grundbach durch die zahlreichen Gründe folgend steigen wir langsam aber sicher von 255m auf rund 140m ab. An Kilometer 12 erreichen wir die Ränder von Stadt Wehlen und nach einem knappen aber knackigem Treppenaufstieg auf die alte Spornburg Wehlen oberhalb der Elbe haben wir einen fantastischen Ausblick auf die Etappenstadt als auch über die Elbe, die sich kurvig durch die Felstäler windet – ein ganz anderer Fluss, wenn man ihn nur aus dem Flachland kennt, wo er breit und gemächlich durch das weite Land fließt.

Wir genießen lange die Aussicht. Nur böse Zunge behaupten, wir hätten länger Rast gemacht, weil wir die Treppen hinab in die Stadt gesehen hatten und die Beine bitterböse mit uns schimpften.

Nun stehen wir also am Ende der ersten Etappe nach rund 13km mit je 15kg Gepäck auf dem Rücken oberhalb der Elbe über der Stadt Wehlen und andere Dinge drängen sich uns auf: Was, wenn niemand von unserer Reservierung weiß? Drüben, auf der anderen Seite der Elbe? In Pötzscha, einem Ortsteil von Wehlen. Ein ungutes Gefühl bleibt immer, wenn man alles selber plant. Tröstend jedoch, dass in jedem der Orte entlang der Elbe in der Sächsischen Schweiz die S-Bahnlinie S1 verkehrt, die uns im schlimmsten aller Fälle nach Dresden und in ein Hotel am Bahnhof zurückgebracht hätte. Zu keinem Zeitpunkt war ein wildes Übernachten in einer Fels-Boofe (biwakieren) geplant. Nächstes Jahr. Vielleicht.

Mit dem geöffneten Reservierungs-PDF auf dem Smartphone in der Hand beginnen wir mit dem Abstieg zur Elbfähre hinab. Wir werden über die Elbe geschippert, wir werden unsere Pension „Bauernhäusl“ am Elbufer finden und wir werden tatsächlich auch unser vorab gebuchtes Zimmer bekommen, soviel vorab.

Dass aber ausgerechnet die Zahnbürste fröhlich grinsend auf der Waschmaschine zu Hause in Berlin lag, damit konnte nun wirklich keiner rechnen. Doch wie heißt es so schön? „Natur heißt auch Gefahr!“.

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