In der Stadt

… und ’ne Buddel voll Rum

Relativ kurzentschlossen eine Woche voller Langweile und Herumsitzerei zu Hause gegen einen Städtetrip einzutauschen, ist eine feine Sache – auch wenn man erst einmal nicht genau weiß, was man da genau macht außer Sightseeing?

Bereits im vergangenen Jahr 2022 waren wir schon einmal für einen Tagesausflug nach Wismar gefahren. Aufgrund hoher sommerlicher Temperaturen fiel das gründliche Sightseeing jedoch eher spärlich aus. Das galt es nachzuholen.

Wismar für Kurzentschlossene geht sehr bequem über Airbnb – auch am Hafen oder direkt in der Altstadt, von 43 Euro bis purer Luxus, für jeden Geldbeutel alles dabei. Wir haben unser Traumappartement für unsere drei Nächte direkt am Hafen gebucht – im alten Ohlerich-Speicher direkt auf dem Pier des Alten Holzhafens. Mittendrin statt nur dabei.

Ein historisches Wort vorweg: Weil es uns störte, dass mit dem Namen Ohlerich-Speicher so hausieren gegangen wird, wollen wir, weil sich ansonsten niemand daran stört, kurz auf die wenig glanzvolle Geschichte des Ohlerich-Speichers eingehen und aus Wikipedia zitieren:

„[…] 1855 wurde die Getreidegroßhandlung Joseph Löwenthal & Co mit Hauptsitz in Schwerin gegründet. 1891 wurde Paul Ohlerich Mitarbeiter der Firma und 1895 Teilhaber. Die Firma mietete in den 1920er Jahren zahlreiche Hafenplätze in Wismar an. Sie handelte mit Getreide aber auch Dünger- und Futtermittel sowie Samen. 1933, nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wurden die jüdischen Kaufleute Löwenthal durch den Teilhaber Ohlerich nach Unterstützung durch den Ministerpräsidenten Walter Granzow (NSDAP) aus der Firma hinausgedrängt und die Firma wurde zur Ohlerich und Sohn KG. Otto Löwenthal, seine Frau und seine beiden Kinder wurden Opfer des Holocaust. […]“

Quelle:Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Ohlerich-Speicher

Der Jahreszeit entsprechend empfang uns Wismar knackig kalt und frostig, ein frischer Wind peitschte aus der Wismarer Bucht hinein, aber die Sonne und der blaue Himmel machten alles wieder wett. Wir nutzten unsere frühe Anfahrt für einen schnellen ersten Rundgang durch die Altstadt, angefangen vom Hafen, abgelenkt vom reichhaltigen Angebot der „Seeperle„, wo uns reichlich frischer Fisch feilgeboten wurde und wir angesichts eines nicht zu unterschätzenden Hüngerchens uns zu Speis und Trank niederließen.

Als Doofie in einer neuen Stadt stehste dann erstmal da. Wo fängst du an? Folgst du den Touristeninformationen, die überall in alle Richtungen zeigen? Oder frei Schnauze?

Tour 1: Drei-Kirchen-Tour
Sich die drei herausragendsten Elemente der Stadt in ihrer Backsteingotik anzugucken, konnte nicht grundverkehrt sein. Wir fingen mit der untersten Kirche an, wenn man davon ausging, dass der Hafen ganz unten war: St. Georgen, deren eigentümliche Architektur von vielen unterschiedlichen Bauphasen zu berichten weiss, bis der Zweite Weltkrieg in einer lauen Bombennacht die Geschichte jäh beendete.

3-Kirchen-Tour
3-Kirchen-Tour, Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende

Noch viel schlimmer sollte es die St. Marienkirche treffen, deren hoher Backsteinturm die Altstadt weit überragt und von überall aus zu sehen ist. Das sollte dann aber auch alles an Sichtbarem gewesen sein, denn mehr steht von St. Marien nicht. Nach schweren Bombentreffern wurde das Kirchenschiff in den 1960er Jahren weggerissen. Ein Park in den Umrissen der Grundmauern ist alles, was an das ehemalige Kirchenschiff von St. Marien heute erinnert und mahnt. Der Turm blieb erhalten und konnte wegen seiner Bedeutung als Seezeichen nicht abgerissen werden.

Durch die Sargmachergasse gelangten wir zum Marktplatz mit dem Rathaus – einer der schönsten Plätze in der ganzen Stadt, denn der quadratische Markt wird an der Kopfseite von dem wunderschönen Rathaus gesäumt, die Seiten des Platzes werden von den wundervoll restaurierten Patrizierhäusern der einstigen Hanse-Kaufleute gerahmt. Als wäre man in einem Computerspiel der „Anno“-Reihe.

Panorama: Marktplatz in Wismar
Panorama: Marktplatz in Wismar

Was man so an bekannten Geschäften von den großen Einkaufscentern auf der grünen Wiese kennt, ist hier in kleinen Krämerhäusern untergebracht – Drogeriemärkte, Bäcker, Banken. Wer auf die Schnelle etwas braucht, wird auf dem Marktplatz fündig ohne die Altstadt verlassen zu müssen.

Die dritte Kirche vom Marktplatz aus zu sehen ist schwierig bis unmöglich. Dazu verließen wir den Marktplatz an der Wasserkunst, einem steinernen Brunnenhaus aus dem 16. und 17. Jahrhundert am unteren Ende des Marktplatzes, über ein kleines Gässchen, um auf die Diebstraße zu kommen. Sie quert unter verschiedenen Namen (Diebstraße, ABC-Straße, Schweinsbrücke, Hinter dem Chor) die Altstadt von Nord nach Süd und führt in nördlicher Richtung vom Marktplatz weg hin zur Schweinsbrücke über den Mühlenbach, an dem sich majestätisch die große St. Nikolai-Kirche erhebt – ein Gigant aus Backstein. Die im 14. Jahrhundert erbaute Kirche der Seefahrer und Fischer ist seit 2002 in der Liste des UNESCO Weltkulturerbes – sie beherbergt neben vielen originären Kunstschätzen auch viele Kunstwerke der beiden weiteren Kirchen St. Georgen und St. Marien. Der Eintritt ist kostenlos, ein Faltblatt mit den wichtigsten Informationen zu den Kapellen und Altären, den Kreuzen und Epitaphen gibt’s am Eingang, über eine Spende zur Erhaltung der Kirche wird sich gefreut. Es lohnt sich.

In den frühen Abendstunden und einsetzender Dämmerung kehrten wir an den Hafen zurück, indem wir von St. Nikolai immer dem Mühlenbach in westlicher Richtung folgten, der kurz hinter dem Gewölbe in den Alten Holzhafen mündet. In der Dämmerung tanzte das alte Holzsegelschiff „Wismaraa“ vor dem Ohlerich-Speicher in den Wellen und der Wind knatterte noch immer frostig vom Meer herein. Die Nacht versprach interessant zu werden: Es war Sturm vorausgesagt. Dass im benachbarten Baumhaus bereits die Flutspundwände vor der Eingangstür installiert wurden, war gewiss ein Zeichen…

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Und Ihr so?

Was habt ihr in Wismar erlebt? Was sollte man unbedingt gesehen haben? Schreibt es in die Kommentare.

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